Für dieses Foto musste ich übrigens in die Knie gehen, weil Felix Lobrecht kleiner ist als ich. Ganz groß ist er trotzdem: Hype – so heißt das Programm (das Wort „Programm“ kommt mir jetzt irgendwie lame vor), mit dem der heißeste Scheiß am Comedy-Himmel, gerade durch die Republik tourt.
Noch nie habe ich im Münchner Circus Krone so viele Menschen gesehen. Jede Weihnachten betrachten wir hier zusammen mit anderen Familien im Kreis laufende Pferde und mongolische Hochseil-Artisten. Mit dieser Art von Zirkus habe ich nicht gerechnet, als mich mein Teenie-Sohn zu der ausverkauften Veranstaltung schleift: Eine Armee an identisch aussehenden Mittzwanzigern steht ums komplette Gebäude und wartet geduldig auf Einlass. Die Uniform für Männer: Muskeln, Shirt, Undercut, enge, hochgerollte Jeans (dafür gibt’s sicher nen Hipster Namen. Aber hey, es bleiben enge, hochgerollte Jeans). Die Uniform für Frauen: Strumpfhosen in Sneakers, lange Haare, der allgegenwärtige Dutt, weite Mäntel, XL-Fake-Wimpern, Cross-Body-Handtäschchen mit Kettchen.
Ich reihe mich also in die friedliche Klonkrieger-Schlange ein und warte, während mir klar wird, dass Warten hier ein Lebensmotto zu sein scheint. Ich gehöre noch zur alten Generation Ungeduld. Machen! Was ist denn jetzt? Wieso geht’s da vorne nicht weiter? Vielleicht hat man’s eiliger, wenn die Uhr lauter tickt. Und vielleicht stehen alle hier genau aus diesem Grund: Weil sie einen Typen feiern, der nie ein Ziel vor Augen hatte, dessen Leben trotz mehrerer Abi-Anläufe und eines vergeigten Studiums doch noch zum Erfolg führte. Wer nicht weiß, was kommt, muss sich nicht beeilen, und darf darüber auch noch Witze reißen. Lobrecht, der seine Ausbildung zum Industriekaufmann abbrach, („Am zweiten Tag saß ich da und dachte: Ich habe mit technischen Gasen nichts zu tun. Technische Gase interessieren mich einfach nicht. Es gibt in meinem Leben keine Überschneidung mit technischen Gasen.“ ) versöhnt mich mit der Alles-Abbrecher-Generation nach mir, für die Beziehungen und Job vor allem spaßig und erfüllend sein sollen - ansonsten: Exit.
Der Abend ist saulustig, um es gleich vorweg zu nehmen. Ich lache mehrmals so laut, dass es meinem Sohn peinlich ist. Der Typ ist richtig gut. Ich bin schon lange im Comedy-Vakuum: Harald Schmidt ist in Rente, Schmunzel-SPD-Humor à la „Neues aus der Anstalt“ interessiert mich nicht. Witze über Trump und Merkel lassen mich ins Wachkoma fallen. Mario Barth, indiskutabel. Worüber lacht man also mit Mitte 40? Und: Worüber lacht eine Generation, die keine gravierenden Probleme hat?
Das finde ich innerhalb der nächsten beiden Stunden heraus: Der kleine, coole Underdog genießt seine Pointen, feiert seinen neuen Fame und das Geld. Richtig so, denn er hat das Beste aus seinem nicht gerade rosigen Start ins Leben gemacht. Während wir Mittvierziger unseren Kindern jedes Hindernis aus dem Weg curlen, musste sich dieser Typ durch eine üble Kindheit (Mutter tot, Vater alleinerziehend) in einem Problembezirk kämpfen. Daraus hat Felix Lobrecht ein brillantes Programm gebaut, das offenbar den Nerv der Generation „Und Du so?“ trifft: Anti-Political-Correctness-Jokes, Witze übers Bücherlesen (dabei schreibt er selbst Romane), Gags über dement werdende Omas (hier haben noch alle Großeltern), über Langeweile, Marathon-Onanie, Kumpels, die plötzlich Papa werden, youtube-Hater, Krims-Krams-Schubladen („Wenndannda“). Alles sehr funny.
Der 30-Jährige verspricht nicht ein Gramm mehr, als er halten kann: Lässigkeit und Luxus - Felix Lobrecht, das ist 1 Meter 70 Werbefläche für Yeezys, Versace, Rolex. Ein Bling-Bling-Rapper, nur eben mit Comedy. Und ich versuche zu verstehen, warum alle diesen Typen lieben: Ist es die Underdog-Heldengeschichte gepaart mit Posterboy-Attitude und ein bisschen Selbstironie? Als ich Mitte 20 war, hießen Comedians noch Kabarettisten, eine kritische Nach-Nachkriegs-Generation, die sich an Kanzlern aufrieb, verbitterten Erdkunde-Lehrer-Charme verströmte und hyperpolitisch war. Für viele der Kids heute scheint der größte Gegner neben dem Klimawandel ein mieses Viertel zu sein – oder das eigene Phlegma. Felix Lobrecht hat die Befindlichkeit dieser Generation so eingefangen, dass sie zusammen mit ihren Eltern darüber lachen kann. Zu Recht räumt er alle Preise ab, liebt seinen Wohlstand und twittert erst vor einer Woche „Hab meinem Vater gerade Yeezys geschenkt. Mehr kann man als Sohn nicht zurückgeben.“
Nur wenige Tage später schaue ich mir mit ältlichen, übersättigten, hüstelnden Theater-Abonnenten ein unfassbar dämliches, zu teures Boulevardstück in einem großen Theater an und sehne mich zurück nach dem unaufgeregten Humor des Berliners, der sagt, er sei nicht auf der Bühne, sondern „uff Arbeit“. Der Hype is real, posten seine Fans. Recht haben sie alle. Hingehen!