Mein Freund hat die Liebe seines Lebens gefunden. Spoiler: Ich bin's nicht.
Das Objekt seiner Begierde ist alt (zum Glück tauscht er mich nicht gegen was Jüngeres). Es hat einen eleganten Arm, irre Drehungen drauf und nadelt wie nix.
Er - es ist ein ER, hey, wir haben 2023 - ist zudem ausdauernd, genügsam und steht ohne Murren Jahrzehnte im Keller rum. Denn er weiß: Seine Zeit kommt wieder.
Dann nämlich, wenn irgendwo auf der Welt ein Mann merkt, dass die Gelenke schmerzen, dass Frauen nur noch müde über seine Witze lachen, dass der Brustmuskel den Abflug gemacht hat und jetzt mit Elvis auf einer Insel lebt. Dann ist Krise. Und in dieser Krise braucht ein Kerl einen Kumpel. Einen, mit dem man schweigen kann. Einen, der nur Töne von sich gibt, wenn er gefragt wird. Einen, dem man den Stecker zieht, ohne, dass er prämenstruell eingeschnappt ist. Dann steigt ebendieser Mann in einen Keller, den auszumisten er sich schon 1996 vorgenommen hat und HOLT DEN PLATTENSPIELER.
Zu diesem Gerät gibt es in der Regel eine Anekdote, die sich Partner:innen besser auch zum achten Mal geduldig anhören. In der Regel lässt sie sich aus diesem Nostalgie-Baukasten-System zusammensetzen: WG-Kumpel ausgezogen/Second-Hand-Shop mit versoffenem Besitzer/Opas unlesbares Testament/kultiger Elektromarkt im Heimatdorf/Studi-Zeit in Freiburg. Als bessere Hälfte gilt jetzt: Klappe halten, lächeln, OH und AH raunen. Viele von uns können das. Denn Achtung: Spöttische Sprüche führen ganz schnell zu Rückzug. Und Du willst nicht als Single aus dieser Menage a Trois ausscheiden: Du liebst ihn. Er liebt den Plattenspieler. Akzeptier es - oder such Dir eine Spotify-Lusche!
Zugegeben: Es tut weh, die Intimität zwischen den beiden zu sehen. Es passt kein Staubkorn zwischen diese Bromance. Wie er mit der Hand zärtlich über die Plastikabdeckung fährt, den Staub liebevoll weghaucht, die Nadel sanft in Position bringt. Wie er mit den Fingern (wie am Anfang von Gladiator, als Russell Crowe mit der Hand die Ährenfelder entlangfährt) über seine Plattensammlung gleitet. Apropos - Auch dieser Vinylfriedhof hat schon für Streit gesorgt: Drei Meter und 300 Kilo Rillen verstopfen Euren Keller. Die Beastie Boys, Beatles und Bowie verbrauchen Platz, den Du für Deine Bücher bräuchtest. Du schweigst. Denn Du weißt: Es ist alles Theorie. Der Plattenspieler wird nie eine dieser Scheiben abspielen. DENN ES FEHLT IMMER EIN TEIL.
Spätestens jetzt wird Dir klar: Dein Partner ist Meggie aus Dornenvögel und in Pater Ralph de Bricassart verliebt. Es ist eine unmögliche Liebe. Sie werden nie zusammenkommen. Ein wichtiges Kabel, eine Verbindung zum Verstärker oder ein Ersatzteil, das nicht mal Amazon kennt, trennt sie von der Stereo-Symbiose. Sein Glück am Deck ist rein platonisch. Sein Begehren, das sich an den beiden unglücklich gewählten Zahlen 33 und 45 festmacht, ist keuscher Natur. Dein Gegenspieler, eckig und hölzern und in seiner Dysfunktionalität gleichzeitig rührend trottelig, wird nie einen Ton von sich geben.
Dein Kerl weiß das. Heimlich hört er auf Deiner Bluetooth-Box perfekt gemischte Playlists mit fetten Bässen. Er schaltet sofort aus, wenn Du kommst. Aus dem Zimmer mit dem Plattenspieler hörst Du: Nix. Aus reiner Sturheit lässt er sich von einem 6-Kilo-Klotz anschweigen. Du lässt ihn. Er braucht die Illusion, dass da irgendwo einer ist, der die Erinnerungen an den legendären Südfrankreich-Trip 1985 weckt. Er braucht die Expertengespräche mit seinen Jungs. Er lebt für Retro-Läden, wo er Millennials mit Jeans-Ballons signalisiert, dass ER schon ein Mischpult hatte, als SIE noch ein Zellhaufen waren. Der Plattenspieler ist das Raclette-Set des Mannes von Welt.
Neulich wollte mein Sohn den Kellerschlüssel. Ratet mal, wofür. Ich habe Angst.
Comments