Die Wechseljahres-Panzer
Vor genau drei Monaten beschloss ich, 10 Kilo abzunehmen. Es war der Geburtstag meiner Tochter, als ich vorm Spiegel merkte, dass kurz vor den Wechseljahren wohl so eine Art Transformation stattfand. Ich hatte sie schon länger bei Frauen Ü50 beobachtet: Viele von uns werden irgendwie kastenförmiger, schildkrötig, panzerartig. Das wollte ich nicht. Meine Waage hatte ich schon lange weggeworfen. Zudem bin ich sportlich. Schon immer bewege ich mich gern und viel - in den vergangenen Jahren mehr denn je. Schwimmen, radeln, wandern, laufen, HIIT, Yoga, you name it. Aber: Trotz all dieser Anstrengungen war meine Silhouette stiften gegangen.
75 Kilo - WTF?
Ich amazonierte mir also wieder eine Waage - klammheimlich, die Kinder sollen von derlei Eitelkeiten nicht angesteckt werden. Und darauf flimmerte eine Zahl, die mich schaudern ließ. Wann bitte war ich so schwer geworden? Ich ernähre mich sagenhaft gesund, man kann's nicht anders sagen: Fleischlos, aber mit Eiern, Vollkorn, Nüssen, Avocados, Gemüse, Obst, Tofu, Joghurt, Chiasamen, Kichererbsen. Ich trinke moderat und rauche nicht. Und, wer an diesem Punkt sagt, 75 Kilo, so what, wenn man gut beieinander ist, dann passt doch alles, der liegt natürlich nicht falsch. Nur mich passte es nicht. Ich beschloss, mich auf den Weg zu machen und aus der Matrioschka-Matrone, die ich geworden war, wieder eine kleinere Puppe rauszuholen.
Ingwer, Apfelessig, Zitrone - die Abnehm-Dreifaltigkeit
Ich lud mir eine App herunter, #Lifesum heißt sie (aber sicher ist jede andere genauso effektiv), trug mein wöchentliches Gewicht, jede Mahlzeit und jedes Training ein. Das ist mir zu blöd, höre ich Euch sagen. Aber es lohnt sich. Die meisten von uns schauen beim Essen ohnehin ins Smartphone - warum nicht gleich die Kalorien eintragen? Ich trank (und trinke) morgens einen Esslöffel Apfelessig, Ingewertee und immer wieder Zitronensaft. Ich trug wochenlang Zitronen in der Handtasche herum, um sie mir im Lokal in mein Mineralwasser zu pressen. Klingt schräg? Macht aber frisch, satt und dämpft den Hunger.
Die Fett-Weg-Formel: 60+16:8+1000
Ich trieb (und treibe) jeden Tag eine Stunde Sport, mache Intervallfasten und aß in der Zeit nie mehr als 1000 Kalorien am Tag. Das klingt jetzt grauenvoll, war es auch stellenweise. Aber was soll ich sagen? Ich hatte bald alle Zahlen im Kopf und konnte 2-3 mal am Tag wunderbar essen: Sojajoghurt mit Beeren, Dinkelbrot mit Avocado, Vollkornnudeln mit Tomaten und Spinat, Spinat, Salat, Gurke, Kohlrabi, Blumenkohl. Das Beste kommt zum Schluss? Nicht bei mir. Bei mir gab es am Abend nämlich NADA. Dinner-Cancelling klingt allerdings sexier, als es erstmal ist. Ich saß zu Beginn mit Schmacht auf dem Sofa, eine Tasse Gemüsebrühe in der zittrigen Hand. Ich hatte vor lauter Snacken vergessen, wie sich Hunger anfühlt (First-World-Problem).
Der Turnaround: Blutzucker
Dann passierte es: Der abendliche Kohldampf stoppte und entpuppte sich als das, was er schon immer gewesen war - eine Mischung aus Gier und Gewohnheit. Ich habe nie vor der Glotze Gummibärchen verdrückt. Aber: Hier eine Banane, da ein Apfel - Blutzucker rauf, Blutzucker runter, eine Appetit-Achterbahn. Erst nach der Lektüre mehrerer Bücher über das Thema (sie stehen gerade in allen Bestsellerlisten) verstand ich: Mein Körper braucht nachts keine Energie mehr. Der will in Ruhe arbeiten und sich notfalls an den Reserven bedienen. Und ein Wunder geschah: Meine Schlafstörungen verschwanden. Ich ging hungrig ins Bett und schlief wie eine Bärin, wachte ohne Bärenhunger auf - dafür aber leichter und erfrischt.
Abnehmspritze - not for me!
Ich gebe zu, anfangs klang es verlockend: Einfach nachhelfen und schnell viel abnehmen wie Kim, Elon und Co. Ich habe Freunde, die diese Abkürzung genommen haben und sich das angebliche Wundermittel Semaglutid haben spritzen lassen - mit teils irren Nebenwirkungen. Ich behaupte: Finger weg von dem Kram, wenn Ihr keine Diabetiker seid und diesen Wirkstoff braucht! Dahinter steht eine Industrie, die an Eurer Gesundheit kein Geld verdient.
Transformation - innen und außen
Mein VOGUE-Jahreshoroskop der großartigen #KirstenHanser, das am Kühlschrank prangt, hat für 2024 eine Transformation und mehr Leichtigkeit versprochen. Challenge accepted. Schon klar, dass es ohne Anstrengung nicht gehen würde, aber wollte ich wirklich so weitermachen wie bisher? Ich war rund und ängstlich geworden, es war Zeit für eine Kehrtwende. Affirmationen, Sport, Therapie können natürlich helfen, die eigenen Baustellen anzugehen. Ein Flugangstseminar bei #Cockpitbuddy war für mich der Durchbruch, auch diese erlernte Phobie zu bekämpfen. Flüge nach L.A. sind gebucht.
Das Wichtigste: Mental Strength
Jetzt kommt der Schlüssel. Kein Ingwer, keine App, kein Sport geben am Ende den Ausschlag, sondern reine Willenskraft. Wir sind alle zu weich mit uns selbst. Wir sind ein Volk von Jammerern geworden: Wer am lautesten klagt, bekommt den meisten Applaus, verständnisvolle Insta-Kommentare, ein Meer aus Mitgefühl. Self-Love, Body-Positivity, Healing, das ist alles schön und richtig. Und natürlich ist ein gesunder Körper das Wichtigste - egal, ob er ein paar Extra-Kilos drauf hat. Aber ich habe gemerkt: Es gibt Kraft, mal die eine oder andere Härte durchzustehen, nicht aufzugeben, nur, weil der Magen knurrt, die Sonne scheint und der Spritz lockt.
Jo-Jo-Effekt? Joah
Wie geht's weiter? Ich esse für mein Leben gern und werde nächste Woche in Italien sicher mal ein Cornetto oder ein Fritto Misto genießen. Aber zwei Focaccia am Tag sind einfach nicht mehr drin. Frauen in den Wechseljahren verbrauchen täglich 300-500 Kalorien weniger als früher. Die spare ich mir. Ansonsten strebe ich einen sanften Jo-Jo-Effekt an: Ein bisschen was darf schon wieder drauf. Zum einen macht Dünnsein über 50 Falten. Zum anderen will ich jetzt nicht meine restlichen Jahre mit Essenskrampf verbringen. Aber Intervallfasten werde ich beibehalten - ein bisschen Askese reinigt Körper und Geist.
Ich komme gerade vom Laufen in Park. Vor mir steht ein dampfender Ingerwertee, gleich gibt es Ananas und Buchweizenbrötchen mit Ei. Das leichtere Leben schmeckt auch ganz gut.
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